Unbekanntes Wrocław: ein Tretradkran im Ossolineum
Wir stehen im Innenhof des Ossoliński-Nationalinstituts. Heute beherbergen alle Gebäude um ihn herum kostbare Bestände, darunter die Handschrift des „Pan Tadeusz” von Adam Mickiewicz. Dieses prachtvolle Bauwerk hat das Ossolineum allerdings von den Kreuzherren mit dem Roten Stern geerbt.
Die Touristen fragen nach dem geheimnisvollen Haken
Denn an diesen Orden dachte die Herzogin Agnes, Witwe Heinrichs II. des Frommen, als sie in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts dieses Gelände für den Bau eines Klosters stiftete. Sogar heute noch finden wir dort zahlreiche Spuren der Mönche. Wie etwa den geheimnisvollen Haken, der ein Teil einer klugen Tretradkrankonstruktion ist. Jedoch eins nach dem anderen.
Durch den Bau des heutigen Ossolineums führt uns Arkadiusz Dobrzyniecki, Kustos im Graphikkabinett des Ossoliński-Nationalinstituts. Im Innenhof dominiert das Grün – eine sorgfältig geschnittene niedrige Hecke, im Hintergrund - eine über 100 Jahre alte Kastanie, und üppige Kletterpflanzen auf den Fassaden. In der Mitte ein wunderbar erhaltener alter Brunnen. Das ist die Ansicht von heute. Jedoch sah es vor einigen Jahrhunderten hier nicht so malerisch aus, vielmehr grau und praktisch. – Denn früher befand sich hier der Wirtschaftshof - erklärt Arkadiusz Dobrzyniecki. – Man fuhr mit dem Pferd hinein und es gab genug Platz, um mit der Kutsche zu wenden, natürlich links, denn Rechtsverkehr gilt erst seit Napoleons Zeiten – fügt der Kustos hinzu.
Gerade vom Innenhof sieht man den besagten Haken am besten, nach dem so viele Touristen fragen. Angebracht ist er im obersten Geschoss des südlichen Gebäudeflügels, hinter ihm befindet sich ein fest verschlossenes Holztor. Um nachzusehen, worum es sich da handelt, müssen wir einige Stockwerke hoch gehen, bis ins Dachgeschoss.
Tretende Mönche
Vielleicht wird eines Tages dieses nach altem Holz riechende Dachgeschoss für Besucher zugänglich gemacht, momentan jedoch haben nur wir die Möglichkeit es zu betreten. Man muss jedoch vorsichtig sein, denn die Türen sind schmal und niedrig und man kann sich nur über speziell eingerichtete Holzpodeste fortbewegen. Unterwegs zeigt uns Arkadiusz Dobrzyniecki das Gewölbe, jedoch nicht das über unseren Köpfen, sondern unter unseren Füßen. Ein Stockwerk tiefer könnten wir dessen repräsentative Seite sehen. Jetzt betrachten wir die komplizierte Konstruktion. - Obwohl sie solide und fest aussieht, darf man sie nicht betreten, vor allem, weil die Steine ineinander verkeilt sind – wenn einer heraus fällt, fallen auch die übrigen heraus – bemerkt der Kustos. Interessanterweise befanden sich früher in den Ecken des Gewölbes (in den sog. Höhlen) Auffüllgruben. – Zu unserer Zeit dachte man, sie seien nicht mehr notwendig und man beseitigte den Schutt, jedoch wussten es unsere Vorfahren besser – der Schutt sollte das Gewölbe zusätzlich beschweren, damit sich die Kräfte besser verteilen – betont Arkadiusz Dobrzyniecki.
Wir nähern uns einem riesigen Holzrad. Es ist ein Teil einer komplizierten Konstruktion des Tretradkrans, der Baumaterialien oder Waren aus dem Innenhof hochheben (deswegen der dort sichtbare Haken) und sie in das Dachgeschoss transportieren sollte. Er wurde im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts eingerichtet (ca. 1690) und ist wie durch ein Wunder erhalten geblieben. Der Kran wurde nicht abmontiert als das Gebäude zum Sitz des Matthiasgymnasiums wurde (nach der Säkularisierung des Ordens 1810 bis zum Jahr 1945), er ist auch von den Bomben des Zweiten Weltkriegs verschont geblieben (eine hat das Treppenhaus getroffen). Heute würde ihm ein Lifting sicherlich gut tun (oder wenigstens der Austausch der Lederriemen), jedoch selbst in der jetzigen Form ist er das landesweit einzigartige Denkmal dieser Art, das immer noch in Betrieb und somit eine Perle für europäische Forscher ist. Vor dem Krieg gab es noch einen großen Kran in Danzig – im Kantor, der allerdings zerstört wurde (heute können wir an der Ostsee seine Rekonstruktion bewundern).
Warum Tretradkran? – Weil in dieses große Rad ein oder zwei Menschen einsteigen konnten, die es mittels Gehen oder Treten in Bewegung setzten, um so die unten deponierte Ware hochzuheben – beschreibt Arkadiusz Dobrzyniecki. Der Kustos betont, mit welcher klugen Konstruktion wir es zu tun haben. – Der Kran besteht nicht nur aus einem Rad, das den spektakulärsten Bestandteil bildet, sondern auch aus Balken mit einem Zahnrad, die mittels Lederriemen befestigt waren – fügt er hinzu.
Wie wurde die Ware ins Dachgeschoss holt? – Man konnte kaum einen solchen Sack vor dem Fenster, wo der Haken befestigt war, abfangen, da sonst die Überlastung und der Sturz in den Innenhof drohten – sagt der Kustos. – Deshalb wurde der nach außen hinausragende Kranarm nach dem Hebevorgang hineingezogen und der Sack kam sicher ans Fenster – erzählt Arkadiusz Dobrzyniecki. Nachdem die Last verladen worden war, brauchten die Männer im Rad nur erneut zu treten und der Kranarm wurde nach außen herausgezogen und das Seil mit dem Haken sank in den Innenhof zurück. Der Kranbauer dachte auch an das Gegengewicht, das jeder Mechanismus dieser Art benötigt. – Wir finden hier kein herkömmliches Gegengewicht, stattdessen stützen sich die Kranbalken am Dachstuhl, der von der Überlastung der ganzen Konstruktion schützt – erklärt uns der Kustos des Ossolineums.
Belvedere – der schöne Blick auf die Dominsel
Wir kehren in den Innenhof zurück und überqueren ihn, diesmal auf dem Weg in den Nordflügel. Wir wissen schon, dass dieser heute von Pflanzen bedeckte Innenhof früher Wirtschaftszwecken diente, allerdings durften auch die Klöster in der Innenstadt keine Gärten besitzen. Damit jedoch die Würdenträger auch einen Spaziergang machen und schöne Aussichten genießen können, wurde der Nordflügel tiefer gestaltet, um so Platz für eine Terrasse und ein Belvedere – aus dem Italienischen: schöner Blick – zu machen. – Es konnte von den Mönchen, insbesondere vom General des Ordens betreten werden, um von dort die Dominsel und die Oder zu betrachten - Arkadiusz Dobrzyniecki lädt auf die Terrasse ein. Es eröffnet sich ein Blick auf das Jugendstilgebäude der ehemaligen Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Kultur und in der Ferne erblicken wir die Dominsel. – Diese Terrasse diente als Garten, an Regentagen ging man in das Belvedere – der Kustos führt uns ins Innere der Kuppel. Die Balustrade ist aus Holz, es wurde hier allerdings ein Trick angewendet, die sog. Marmorierung – das Holz wurde so bemalt, dass die Farbe die Struktur des kostbaren Steins nachahmt. Marmor wäre hier nicht nur zu teuer, aber vor allem zu schwer. Die Kuppel wurde nach den Kriegszerstörungen rekonstruiert, deshalb fehlen auf dem Gewölbe die Malereien, die Szenen der Klostergründung darstellen sollten. Jedoch bekrönt das Wappen der Kreuzherren mit dem Rotem Stern, eines hospitalischen Ordens, der im Prag des 13. Jh. gegründet war und dessen Mönche sich auch in Wrocław niederließen, immer noch stolz die Kuppel über dem Belvedere
Magdalena Talik